Eine Woche für die gesunde Psyche Oktober 2024
Jeder vierte Deutsche leidet unter einer ausgeprägten psychischen Erkrankung. Um weiter für das Thema zu sensibilisieren, findet jetzt wieder die Woche der seelischen Gesundheit statt. In diesem Jahr wollen die Anbieter vor allem den Sozialraum in den Blick nehmen.
Wenn man wissen will, wie es in einem Menschen aussieht, kann man ihn in einen Computertomografen schieben, ein MRT machen oder röntgen. Aha, Muskelfaserriss. Wie es aber seiner Psyche geht, ist ungleich schwieriger herauszufinden. Natürlich: Die seelische Gesundheit ist mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Aber noch immer ist das Thema für viele unangenehm. Dabei spielt die psychische Gesundheit eine zentrale Rolle für die Lebensqualität, Leistungsfähigkeit und Teilhabe eines Menschen. Gerade den letzten Punkt wollen die Organisatoren der Woche der seelischen Gesundheit im Oktober in den Blick nehmen.
Breites Spektrum der Unterstützung
Jährlich leidet mehr als jeder vierte Erwachsene in Deutschland unter einer ausgeprägten psychischen Erkrankung. Die Beeinträchtigungen reichen von leichten Beschwerden bis zu schweren psychischen Störungen. Dementsprechend breit sei das Spektrum des Unterstützungsbedarfs, sagt Christian Buseck, Sprecher des Koordinierungsausschusses des Gemeindepsychiatrischen Verbundes (GPV) Gießen. Dort sind Anbieter aus der Psychiatrischen Versorgung und Suchthilfe zusammengeschlossen. Träger sind der Landeswohlfahrtsverband Hessen und der Landkreis Gießen.
»Wir wollen das Thema Seelische Gesundheit weiter in der Öffentlichkeit halten und auf die Angebote unserer Mitglieder aufmerksam machen«, sagt Buseck. Anlass dazu gibt es rund um den Welttag für seelische Gesundheit am 10. Oktober. In Gießen findet vom 9. bis zum 12. Oktober eine Woche mit kostenlosen Mitmachangeboten statt. Einer der Leistungsanbieter im GVP ist »Stadt Land Leben« mit Sitz in Gießen. Dessen Geschäftsführer ist Thomas Becker. Er erzählt, dass bei früheren Aktionswochen die Angebote vereinzelt stattfanden und die Beteiligten bei einem Stand im Seltersweg gemeinsam präsent waren. Den Infostand wird es auch in diesem Jahr geben. Aber zusätzlich die Aktionen der GVP-Mitglieder in geballter Form.
Buseck und Becker betonen, dass in dieser Aktionswoche der Sozialraum im Fokus steht. Es brauche bestehende Angebote, in denen sich Betroffene integrieren können. Buseck sagt: »Wäre es nicht sinnvoll, Betroffene in eine bestehende Altherren-Fußballmannschaft zu integrieren, anstatt die nächste geschlossene Gruppe für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen zu gründen?« Denn nicht immer läuft es so wie bei einem zuerst geschlossenen Angebot zum Kicken in der Weststadt für psychisch erkrankte Menschen. Nachdem ein Asylbewerber daran teilgenommen hatte, habe er gefragt, ob auch andere Mitbewohner aus seiner Unterkunft mitmachen könnten. Als dann diese Truppe auf dem Platz stand, hätten sich jugendliche Weststadt-Bewohner dazugesellt. »So etwas entwickelt sich, das lässt sich schwer planen«, sagt Buseck.
Beispielhaft nennen Becker und er zwei der Aktionen, die in der Woche der seelischen Gesundheit ausprobiert werden können. Da wäre zum einen das Projekt des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Landkreises und der Vitos-Klinik mit dem Titel »Laufend gesund: Positive Wirkung von Joggen auf die Psyche.« Buseck unterstreicht die Bedeutung von Bewegung für die seelische Gesundheit. Betroffene dazu zu bringen, rauszugehen, sich zu bewegen, wirke sich positiv auf die Psyche aus.
Oder das Chorprojekt von »Stadt Land Leben«. Dabei können Betroffene, aber auch Mitarbeiter der Leistungsanbieter zusammen mit dem Chor »Modern Voices« ein Lied einüben, das sie zusammen bei der Abschlussveranstaltung der Aktionswoche aufführen. Bei all den Angeboten geht es darum, Menschen »zu aktivieren«, betont Buseck. Becker ergänzt: Es handle sich um einen Probelauf, aus dem regelmäßige Angebote entstehen sollen. Langfristiges Ziel sei es, Projekte anzustoßen, bei denen die »Profis« nicht immer mit im Boot bleiben. »Die Anbieter sollen sich im besten Fall überflüssig machen«, sagt Becker.
Laufen und Singen in Gemeinschaft
Das hat natürlich zum einen damit zu tun, dass es um die Integration und Inklusion von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen geht. Zum anderen sind Fachkräfte und Geld auch in diesem Bereich endlich. Gerade deshalb muss es laut Buseck darum gehen, zu verhindern, dass Menschen überhaupt in dieses System kommen. Stattdessen brauche es Angebote, die vorher ansetzen. Der Bedarf scheint da zu sein, denn die Zahlen von Betroffenen steigen. Becker zum Beispiel nimmt eine Zunahme von Sozialphobien bei jungen Menschen wahr und sieht darin eine Nachwirkung der Corona-Pandemie. Für Buseck hängt vieles mit dem Thema Selbstwertgefühl und Wertschätzung zusammen. Früher, hätten Menschen mit psychischen Einschränkungen in einfachen Berufen am Alltag teilnehmen und Bestätigung finden können. Diese Jobs fallen weg - und damit auch die Arbeitsmöglichkeiten für Betroffene. »Das wird uns noch die nächsten Jahre und Jahrzehnte beschäftigen.«
Quelle: Gießener Allgemeine
